"Pflanzen"

Liederzyklus für Sopran und Klavier

über "Pflanzen"

In den fünf Liedern für Sopran und Klavier auf Texte verschiedener Autoren steht nicht nur die Botanik im Mittelpunkt. Auch die Beziehung zwischen Sängerin und Pianist wird immer wieder neu verhandelt.
Goethe war bekanntlich passionierter Naturwissenschaftler. Für das erste Lied Urpflanze wurden Fragmente aus Der Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären (1790) neu kombiniert, um die poetischen und musikalischen Qualitäten des Sachtexts in den Vordergrund zu rücken. Obwohl er sein Instrument kaum spielt ist der Pianist hier der eigentliche Protagonist – die Sängerin imitiert seinen Vortrag.
Das zweite Lied Oh, wer um alle Rosen wüsste ist die Vertonung eines Heine-Gedichts, in einem bisweilen kindlich-naiven Tonfall. Die Sängerin hat einen gewissen Grad an rhythmischer Gestaltungsfreiheit und damit große Kontrolle – der Pianist muss ihr genau folgen.
In Arm Kräutchen sind die beiden Musiker dagegen absolut gleichberechtigt. Die Adaption von Ringelnatz kurzem Gedicht über einen Sauerampfer, der an den Bahngleisen von Abgasen verpestet wird, hat aleatorische Elemente und funktioniert wie ein Brettspiel: Musikalischen Befehlen des Gegenübers folgend durchschreiten Sängerin und Pianist die Partitur wie eine Karte auf immer anderen Wegen. Das Stück erklingt stets in neuen Varianten – den Interpreten wird dabei viel Spontaneität abverlangt.
Grundlage für das vierte Lied sind Fragmente eines Prosatexts: In dem Ausschnitt aus Jules Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer beschreibt der Erzähler den unterseeischen Wald des Kapitän Nemo. Die ungewöhnlichen Schwerkraftgesetze, denen die Wasserpflanzen dort gehorchen, übertragen sich auf Harmonik und Melodik. Es entsteht ein enges Gewebe aus kanonisch geführten aufsteigenden Linien.
In dem abschließenden Waldlied übernimmt der Pianist gewissermaßen die Aufgaben eines ganzen Natur-Orchesters: Außer dem Flügel kommen Vogelstimmen – Waldkauz, Krähe, Amsel, Goldfasan – und andere Effektgeräte zum Einsatz. Dazu trägt die Sängerin das Gedicht von Gottfried Keller vor – natürlich mit einem kleinen Augenzwinkern.

[Autor: Benjamin Scheuer]