"Serenaden"

Für kleines Ensemble.

Über Serenaden

Die "Serenaden" für fünf Spieler, Verstärkung und Tape beziehen sich auf das simpelste Modell einer Serenade: Ein "Barde" singt und begleitet sich dabei mit einem Saiteninstrument. In mehreren Episoden werden verschiedene "Gesänge" vorgetragen, begleitet und unbegleitet und mit immer umfangreicheren Zwischenspielen.
Bei den Gesängen handelt es sich allerdings um "filtrierte" Serenaden: verschiedene Weiterentwicklungs-, Erinnerungs- und Imitationsprozesse kamen zum Einsatz. Gesangsfragmente wurden aufgenommen, weiterverarbeitet und erklingen nun in stark verfremdeter Form. Viele Elemente erscheinen wie nostalgische schattige Erinnerungen an vormals klar konturiertes.
In den "Serenaden" gibt es eine deutliche Trennung zwischen "Begleitung" und "Melodie", auch mittels einer klaren Rollenverteilung: Die "Melodien" werden meist von einer Kombination von Sopransaxophon und Tape vorgetragen, das Saxophon spielt fast ausschließlich Melodiefragmente. Dabei kann die Melodieebene durchaus auch polyphon sein, wie beispielsweise im "canto III".
Begleitet wird die Melodie von einem "rostigen Saiteninstrument", das sich aus mehreren Klangfarben zusammensetzt: verstärkter Eierschneider und ebenfalls verstärkte battuto-Violine gesellen sich zu einer leicht umgestimmten Harfe. Eine Hybridrolle nehmen die Lotosflöten und das Flexaton ein, diese unterstützen die Begleitung, steigen jedoch gelegentlich auch in den melodischen Verlauf ein. Das Klavier schließlich hat eine Art Kommentarfunktion, es bringt Kontrapunkte, sorgt an den immer wieder auftauchenden mikrochromatischen Skalen, die gemeinsam im Ensemble herumgereicht werden, für den Zusammenhalt. Und letztendlich übernimmt es auch im letzen Drittel die Führung, wenn die Form durch die Wiederholung von einzelnen Elementen der Begleitung immer mehr stagniert. Die Instrumente sind jeweils auf ein sehr kleines und sehr spezifisches Klangmaterial reduziert, das entweder zu den Klangcharakteristika der rostigen Harfe beiträgt oder die Klänge des Tapes zu imitieren sucht.
Das Prinzip der Stagnation spielt in dem Stück eine sehr große Rolle: Das Material ist stark limitiert. Viele der Instrumente greifen nur auf eine sehr beschränkte Anzahl von Vokabeln zurück: So erklingen bei fast allen Techniken der Violine die mittels einer Skordatur leicht veränderten leeren Saiten. Harmonischer "Fortschritt" ist hier nur durch eine veränderte Kontextualisierung beispielweise durch Liegetöne im Klavier zu bewerkstelligen. Das gleiche gilt für den Eierschneider, der gleichzeitig eine starke aleatorische Komponente mit sich bringt: Die Stimmung seiner Saiten kann nicht genau vorgeschrieben werden und sich natürlich auch nicht im Laufe des Stücks verändern. Auch die Melodik der verschiedenen Tapes ist stets ähnlich, wobei hier schon durch Bearbeitungsverfahren am Computer einige Unterschiede geschaffen wurden. Die Beschränkung des Materials hat große Auswirkungen auf die Form: Über die ersten Minuten gelingt es, immer wieder neue Kombinationsmöglichkeiten der Elemente zu finden: Texturen mit einer zeitweise komplexen Polyphonie - teils kompositorisch genau kontrolliert, teils durch Zufall/Improvisation bereichert - entstehen. Die immer wieder neue Zusammenstellung des Materials führt letztendlich jedoch zwangsläufig zu einer Stagnation, die sich durch Wiederholungen ausdrückt - einerseits aufgrund des Bedürfnisses, in all der Vielfalt der Eindrücke einige klar herausgestellte und wiedererkennbare strukturschaffende Ereignisse in den Vordergrund zu rücken. Andererseits als klare Konsequenz aus der Beschaffenheit des Materials: Durch die Festschreibung auf eine beschränkte Anzahl von Formeln und Unterdrückung von entwickelnden Tendenzen bleibt die Stagnation die Folge, die früher oder später ganz von selbst auftreten würde.

[Autor: Benjamin Scheuer]